Offener Brief: Den ökonomischen Mehrwehrt der Energiewende nutzen!

Sehr geehrter Herr Präsident Vetter,

mit diesem Offenen Brief beziehen wir uns auf Ihre von der Siegener Zeitung (5.3.2013) wiedergegebenen Einschätzungen und Bewertungen zur Energiewende und ihrer ökonomischen Bedeutung, insbesondere für die Unternehmen unserer Region.

Sie scheinen die Energiewende vor allem mit „Sorge“ zu betrachten, kritisieren zu befürchtende Kostensteigerungen, vermissen die „Regeln und bewährten Prinzipien der Marktwirtschaft“, beschreiben die Zugangswege zu den im Bau befindlichen Windenergieanlagen als „autobahn-ähnlich“ und warnen vor Spaziergängen unter Windrädern im Winter „wegen der Eisbrocken“ und im Sommer „wegen der geschredderten Vögel“.

Sehr geehrter Herr Präsident, wir weisen Ihre Kritik an der parteiübergreifend vom Deutschen Bundestag beschlossenen Energiewende mit aller Entschiedenheit zurück. Zugleich fordern Sie  auf, sich für eine differenzierte Sichtweise auf dieses Jahrhundertprojekt zu öffnen, das   Bundeskanzlerin Merkel zu Recht als große „Gemeinschaftsaufgabe“ beschrieben hat und das angesichts von Ressourcenschwund und den immer sichtbarer zutage tretenden Folgen des anthropogenen Klimawandels ökologisch unverzichtbar und auch in der zeitlichen Perspektive von wachsender Dringlichkeit ist. Darauf hat nicht etwa irgendein grüner Hysteriker hingewiesen, sondern die Weltbank im Vorfeld der letzten UN-Klimakonferenz. Sie warnt eindringlich davor, dass wir „auf die Vier-Grad-Welt zusteuern“ – mit allen unkalkulierbaren Folgen für Mensch, Natur, Umwelt und eben auch für die Wirtschaft! So beziffert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die zu erwartenden Kosten durch Klimaschäden bundesweit bis 2050 auf rd. 800 Mrd. Euro, in NRW auf über 70 Mrd. Euro. 

Sehr geehrter Herr Vetter, lassen wir die von Ihnen erwähnten Eisbrocken und vermeintlich geschredderten Vögel für einen Moment beiseite. Dabei handelt es sich offensichtlich um bewusste Verzerrungen, die von Ihnen nicht als ernsthaft zu diskutierende Einwände gegen die Windenergie ins Feld geführt werden. Auch die autobahntrassenähnlichen Zuwegungen zu im Bau befindlichen Windenergieanlagen können von Ihnen nicht ernsthaft argumentativ angeführt worden sein. Denn es wäre bei einigem guten Willen ein Leichtes, sich über den ökologischen Mehrwert und das  grundsätzliche Prinzip, die Nutzung der Windenergie mit Aspekten des Naturschutzes in Einklang zu bringen,  zu informieren, etwa im Bürgerwindpark Hilchenbach mit seinen nach der Errichtung der Anlagen wieder aufgeforsteten Zugangswege- und flächen. Dort könnten Sie sich auch darüber erkundigen, wie mit dem Eisbesatz von Windflügeln verfahren wird und wie es um das Problem des Vogelschredderns bestellt ist. Da die Gefahr für Leib und Leben von Tieren etwa bei der Befür-wortung von Straßenbauprojekten aber für Sie wohl kaum je ein Argument gegen ein solches Vorhaben wäre, so rechnen wir nicht damit, dass Sie damit im Zusammenhang mit Windenergie-anlagen wirklich ein ernsthaftes Problem haben. Nein, lassen wir die Polemik beiseite und treffen uns auf dem Feld, auf dem Sie sich bewegen: der Ökonomie! Der Reihe nach:

Sie sprechen im Zusammenhang mit der Energiewende von der Verletzung des marktwirtschaft-lichen Reglements. Dabei wissen Sie besser als wir, dass nichts Ungewöhnliches daran ist, zur Markteinführung neuer Technologien Förderinstrumentarien zu implementieren, die unternehmens-seitig auch stets in Anspruch genommen wurden und werden. Auf dem Energiesektor etwa sind die konventionellen Energieträger Atom-, Stein- und Braunkohle in den letzten 40 Jahren mit über 430 Mrd. Euro subventioniert worden – dagegen gab es von Ihrer Seite unseres Wissen keinen Ein-spruch. Die gesamte Förderung der Erneuerbaren beläuft sich bis dato gerade einmal auf 54 Mrd. Euro. 

Sie kritisieren die Belastungen kleiner und mittlerer Unternehmen durch steigende Energiekosten. Gut gebrüllt, Löwe! Das sollten Sie jedoch nicht der Energiewende ankreiden, sondern der amtierenden Bundesregierung, die mit der Umlagebefreiung für Energieintensive so inflationär verfährt, dass neben den Bürgerinnen und Bürgern eben genau die kleinen und mittleren Unter-nehmen über Gebühr belastet werden, für die Sie sich zu Recht stark machen. Genau darum fordern wir als Grüne etwa ein Ende der grassierenden Ausnahmetatbestände, von denen die Großen profitieren zu Lasten der Kleinen.

Ärgerlich aber ist vor allem, dass Sie den ökonomischen Mehrwert der Energiewende vollständig unterschlagen! Sie fallen damit weit hinter die Positionen führender deutscher Wirtschaftsexperten zurück und legen eine ökonomische Provinzialität an den Tag, über die man nur den Kopf schütteln kann. Denn wahr ist: Die Energiewende ist voller ökonomischer Chancen – gerade für die mittel-ständische Wirtschaft! Das werden Sie sich von zwei grünen Kommunalpolitikern vielleicht nicht sagen lassen. Aber vielleicht von BDI-Präsident Keitel, der im Oktober 2012 erklärte, dass allein in 2011 deutsche Unternehmen auf diesem Feld fast 300 Mrd. Euro umgesetzt haben und bis 2025 ein gobales Markt-volumen von 4,4 Billionen Euro prognostiziert werde: „Das“, so Keitel, „bietet große Exportchancen für die deutsche Industrie plus Wachstum und Arbeitsplätze.“ 

Allein in Deutschland haben wir bereits 280.000 Arbeitsplätze durch Erneuerbare Energien, bis  2020 können es 500.000 sein. In NRW arbeiten über 28.00 Beschäftigte in der regenerativen Energiewirtschaft, Tendenz steigend. Der Beitrag der Erneuerbaren zur kommunalen Wert-schöpfung wird pro Jahr auf über 10 Mrd. Euro geschätzt. Fragen Sie die Dachdecker, die Installateure, die Fensterbauer, ob ihnen die Energiewende mit ihren drei Säulen Energieeffizienz, Energieeinsparung und Erneuerbare zum Schaden oder zum Segen für Ihre Betriebe gereichen! Die Potentialanalyse der Bezirksregierung Arnsberg stellt fest, dass in Südwestfalen durch den Ausbau der Erneuerbarer Energien innerhalb der nächsten 20 Jahre vor Ort ein Wertschöpfungsvolumen von etwa 4,5 Mrd. Euro entsteht.  Bei einer verstärkten Ansiedlung von Unternehmen in den Bereichen Herstellung, Betrieb, Dienstleistung und Zulieferindustrie können bis zu 4.200 Arbeits-plätze geschaffen werden, und zwar insbesondere in der Windenergie-Branche, der Biomasse-Branche und der Solar-Branche. Ist Ihnen all das keine Silbe wert?

Sehr geehrter Herr Präsident Vetter, wenn Sie sich schon nicht durch ökologische Erwägungen von Sinn und Notwendigkeit der Energiewende überzeugen lassen, wenn die Frage, ob unsere Kinder und Enkelkinder noch wie wir selbst in einer lebenswerten Mit-Welt aufwachsen und leben können, wenn internationale soziale Verwerfungen in der Folge wachsender klimabedingter Konflikte Sie nicht von Sinn und Notwendigkeit der Energiewende überzeugen können, so sollten doch zumindest die ökonomischen Chancen dieses Projekts Sie dazu bewegen, es nicht leichter Hand zu diskreditieren, sondern als Herausforderung anzunehmen und ihm im Rahmen Ihrer Möglichkeiten zum Wohl von Mensch, Umwelt und Wirtschaft zum Erfolg verhelfen.

Mit freundlichen Grüßen,
gez. Florian Kraft/Dr. Peter Neuhaus (Sprecherteam)

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld

Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.

Verwandte Artikel